THE CREW – Folge 783 Maes


Kollege Maes ist wohl einer jener Crewmitglieder, der das Festival von Beginn an begleitet hat. Als Riesaer hatte er aber auch die allerkürzesten Drähte. Schon vor der Wende lernte man sich kennen (im Röderauer Waldschlösschen, bei einem Konzert von „Die Firma“) und teilte die intensiven Erfahrungen der Wende- und Nachwendezeiten. Damals spielte er noch mit seinen Kirchendieben landauf landab. 1998 stand er dann nicht nur mit seiner neuen Band Holy Pigs Maes auf der Festivalbühne, sondern kümmerte sich auch um den Bühnensound der anderen Bands. Nachdem hier und da Profis als Dienstleister engagiert wurden, wechselte er in die Bandbetreuung. Der Posten war deutlich näher an seinem Wesen und er konnte bleibende Erinnerungen sammeln. „Es ist etwas ganz besonderes, Musiker abseits der Bühne kennen zu lernen. Ich habe wirklich keine negativen Erfahrungen machen müssen. Ganz im Gegenteil. Es gab wunderbare Momente mit Bands wie Evil Conduct, Long Tall Texans, Adolescents oder Peacocks. Und klar, über die Jahre entstand auch ‘ne ganz besondere Beziehung zu den Lokalmatadoren.“

Eine Sache blieb ihm aber besonders im Gedächtnis. G.B.H. Deren beide Alben "City Baby Attacked by Rats" und "City Baby’s Revenge" hatte er sich 1988, während eines Familienurlaubes in der Tschechoslowakei, als Tape kaufen können. Unvorstellbar, so etwas in der DDR aufzutreiben. Bei seinem BTF-Einstand bekam er die Gelegenheit, die Briten abzumischen und erzählte ihnen die Geschichte. Am Ende wurde er eingeladen, „Sick Boy“ mitzusingen. Inzwischen sind seine Prioritäten ganz neu justiert und es bereitet ihm allergrößte Freude, wenn es auf dem Bierwagen richtig rund läuft und ein Fass binnen Minuten und ohne Pause leer gezapft ist. Wenn das so schnell geht, bleibt wiederum mehr Zeit für andere Dinge. Großer Höhepunkt der letzten Jahre: ein Wiedersehen mit Slime. „Ich habe dann zwei Stunden mit der Band backstage über die ganze Anfang-der-Neunziger-Zeit, Faschoüberfälle, 1.Mai's in Kreuzberg, besetzte Häuser etc. pp. labern können. Slime sind hammersympathische Menschen! Das hat richtig Spaß gemacht. Ja, und letzten Endes ist das Festival an sich immer DAS Highlight. Es ist wie ein Nach-Haus-Kommen. Auch wenn ich nur von Riesa aus anfahre. Aber die Vorfreude ist immer wieder riesig! Crew, Gäste, Freunde, Bands!“ Wenn es nach Maes ginge, würden bald mal Nine Pound Hammer oder Reverend Horton Heat in Glaubitz auftrippeln. Mal sehen, was sich da machen lässt. Für den Moment empfehlen wir, zu schauen, was er abseits des Festivals so treibt. Spannend.

BTF: Du warst in der Vergangenheit einige Male in Tansania, wo du eine im medizinischen Sektor tätige Hilfsorganisation unterstützt hast. Kläre uns mal über die NGO auf und was ihr da genau macht?
Maes: Der Verein heißt »Interplast Germany e.V., dort kann man eigentlich alles erlesen. Das Team, in das ich mich einbringe, reist zweimal im Jahr ins Dr. Atiman Memorial Hospital nach Sumbawanga. Das Krankenhaus wird von der katholischen Kirche in Tansania betrieben. Das mag jetzt erstmal befremdlich klingen, verbinden doch die meisten von uns nicht unbedingt das Beste mit der Kirche. Aber dort trägt die Kirche vieles des gesellschaftlichen Lebens und unterstützt die sozial Benachteiligten der Gesellschaft. Sumba (wie wir Sumbawanga gern abkürzen) liegt im Südwesten von Tansania, nahe an der Grenze zu Sambia. Touristisch definitiv kein Hotspot von Tansania, aber eben aus diesem Grund ist man viel näher dran am alltäglichen Leben und alles ist viel ehrlicher. Das Einsatzteam besteht meistens aus ungefähr 18 Menschen: Ärzte, Anästhesisten, OP-Pfleger, Hebammen und eben mir als Röntgentechniker. Hauptsächlich gibt es dann drei Schwerpunktgebiete: Plastische Chirurgie für Verbrennungen, Struma und Lipomen und ein Traumatologie-Team. Über Radio und Aushänge und ein Pre-Screening wird den Menschen angekündigt, dass wir vor Ort sind. Da erscheinen dann an den ersten beiden Tagen ca. 500 - 600 Patienten, alle in der Hoffnung, ihnen wird geholfen. Man sieht dann dort krasseste Diagnosen, die man hier in Europa nie sehen würde. Kinder mit schweren bis schwersten Verbrennungen, Kontrakturen und schwere Frakturen. Teilweise sind diese Verletzungen schon vor Monaten, wenn nicht sogar Jahren geschehen. Die Patienten kommen aus einem Umkreis von 400 bis 600 km; teils sogar zu Fuß, mittlerweile hat es sich auch in Uganda, Malawi und Sambia herumgesprochen, wenn die "German doctors" wieder im Land sind. Nach zwei Tagen Screening haben wir dann 10 OP-Tage, die um halb 8 starten und teilweise erst 22 Uhr enden. Wichtig ist es mir, zu erwähnen, dass keiner unserer Patienten etwas für die Behandlung oder eine OP bezahlen muss. Eine OP kostet im Schnitt um die 250 € und diese Kosten werden allein durch Spenden finanziert. Aber alles in allem sind es schon recht heftige Tage. Dort habe ich Demut gelernt und tiefe Dankbarkeit dafür, in einem Land wie Deutschland geboren zu sein und leben zu dürfen.

BTF: Ihr habt in Sumbawanga auf einer über 1.800 Meter hohen Hochebene zwischen Tanganyikasee und Rukwasee gearbeitet. Beinahe Zentralafrika. Wie sind die Gegebenheiten für die örtliche Bevölkerung? Wie steht es mit Schulen und der Lebensmittelversorgung?
Maes: Also nach der 36-stündigen Anreise über Leipzig – Frankfurt – Addis Abeba – Dar es Salaam – Mbeya und einer 8-stündigen Busfahrt merkt man als erstes jedes Mal wieder, auf welcher Höhe man sich da befindet. Die Pumpe braucht schon immer ein paar Tage, sich daran zu gewöhnen. Also zumindest meine. Die örtliche Bevölkerung kann theoretisch alles erwerben, was wir hier in Europa auch bekommen können. Nur können sich die Wenigsten das dort leisten. Lebensmittel sind immer ausreichend vorhanden, nur dass eben einem Großteil einfach das Geld dafür fehlt. Ich fürchte, viele der Menschen ernähren sich tagein tagaus sehr einseitig. Einige der Kinder, die zu uns zur Behandlung kommen, sehen schon sehr unterernährt aus. Das erinnert mich an die Bilder aus Äthiopien in den 80er Jahren. Das finde ich sehr traurig. In Tansania besteht Schulpflicht, und so sehen wir auf unserem morgendlichen Weg ins Hospital hunderte Kinder in Schuluniform auf dem Weg zum Unterricht. So viele Kinder habe ich nirgendwo anders gesehen. Und die erscheinen mir immer fröhlich, lachend, glücklich. So sieht es zumindest aus. Die Schule geht über den ganzen Tag. Auf dem Land dürfen aber viele Kinder nicht in die Schule gehen, einfach, weil sie den Eltern bei der Arbeit auf dem Feld helfen müssen.

BTF: Über die Jahre konntest du sicher verfolgen, was ihr schon bewegen konntet. War es möglich, örtliche Organisationen bzw. Menschen einzubinden, so dass sich langfristig positive Entwicklungen anschieben lassen? Thema Hilfe zur Selbsthilfe.
Maes: Ja, sicher sieht man über die Jahre eine gewisse Entwicklung zum Positiven. In unserem Fall arbeiten wir mit der katholischen Kirche, dem Bistum Sumbawanga, zusammen. Man spürt aber eben auch, dass verschiedene Leute in hohen Positionen Vorteil aus unserer Arbeit zu ziehen versuchen. Teilweise werden sehr hohe Hürden gestellt, was die Einsatzplanung, die tägliche Arbeit vor Ort und den Umgang mit Ressourcen angeht. Die tansanische Regierung ist seit ein paar Jahren z.B. der Meinung, medizinische Produkte, die wir benötigen, nicht mehr nur aus Deutschland einzuführen, sondern eben in Tansania zu erwerben. Auf der einen Seite ist das eine vernünftige Idee, auf der anderen Seite müssen diese Sachen dann zu viel höheren Preisen als in Deutschland erworben werden. Solche Sachen mehren sich in den letzten Jahren.

BTF: Die katholische Kirche spielt in Afrika eine wichtige Rolle. Afrika hat ein riesiges Problem mit einer rasant wachsenden Bevölkerung. Es braucht Bildung und Mädchen, die möglichst lange zur Schule gehen. Wie zeigt sich der Einfluss der Kirche in Tansania? Nutzt die Truppe ihren massiven Einfluss auch mal dazu, positive Entwicklungen zu befeuern?
Maes: Die Kirche trägt auf jeden Fall positiv zur sozialen Entwicklung bei. Sie ist ja Träger verschiedenster sozialer Einrichtungen, angefangen von Hospitälern, über Geburtsstationen (Midwife Nurseries) bis hin zu Waisenheimen. Ohne diese Arbeit würden viele der Ärmsten hinten herunterfallen. Ich denke, die Kirche in Tansania hat auf jeden Fall einen positiven Einfluss in Tansania. Leider werden die staatlichen Zuwendungen für NGO's, zu welchen die Kirche zählt, massiv zurückgefahren. Damit können nicht die gleichen Gehälter für Ärzte, Lehrer, Schwestern usw. gezahlt werden, wie in staatlichen Einrichtungen, was zu einer Abwanderung guten Personals führt. Pädagogisch sehe ich Tansania auf einem guten Weg, die Ganztagsschule ist sehr verbreitet. Welcher Prozentsatz aller Kinder aber tatsächlich zur Schule gehen, vermag ich aber leider nicht einzuschätzen.

BTF: Uns konntest du schon einige Mal mit deiner Gitarre begeistern. Hast du die auch in Tansania im Gepäck und wie reagieren die Leute da auf Johnny Cash und Rock'n'Roll?
Maes: Haha... nee du, die war da noch nicht mit unten. Da wäre auch wenig Zeit, denen meine J.R. Cash Versionen um die Ohren zu hauen. Wäre wohl aber mal einen Versuch wert. Tansania hat eine ganz große, eigene Musikszene mit vielen lokalen Stars, das geht alles in allem am ehesten in die Richtung Dancehall/Reggae/Dub – mit viel westlichem Einfluss á la Rhianna/Sean Paul oder so ähnlich. Ich habe aber auch schon Bob Marley und Peter Tosh dort zu hören bekommen. Und ein Taxifahrer in Dar es Salaam hat mich auf eine ziemlich coole Socke Namens Daudi Kabaka gebracht. Ich habe ihn spontan den Johnny Cash Tansanias getauft. Den ziehe ich mir mittlerweile auch zu Hause manchmal rein. Den finde ich irgendwie dufte.