THE CREW – Folge 783 Ines S.


Kommen wir nun zu I wie Ines. Schwester Ines, um genau zu sein. Aber stopp, da haben wir doch 2 von. Stimmt. Heute Ines S. aus DL an der M. Wer unsere Ines ein bisschen kennt, kann sich gar nicht vorstellen, wie sie sich sehr nachhaltig in das gemeinsame Crewgedächtnis brannte. Ob sie sich der Reichweite ihres Sprechfunkgerätes bewusst war, als sie unserem Gastrochef Carsten mit einem gebrüllten sarkastischen "Wir brauchen endlich Wasser. Sonst saufen die uns das Waldbad leer! Willst du das?" den absoluten Versorgungsnotstand kommunizierte? Vermutlich nicht, aber allen Mithörenden war klar, wie ernst die Lage sein muss. Denn Brüllen hatten wir Ines noch nie gehört. Wer danach den Funk für ähnlich vorgetragene Kritik missbrauchte, wurde mit dem Hinweis „Vorsicht, du bist nicht Ines!“ gemaßregelt und schon huscht allen bei dem Gedanken an diesen Vorfall ein Lächeln übers Gesicht.

Ansonsten ist Ines die Frau für die ganz besonderen Aufgaben. Was hättet ihr gemacht, wenn Justin, Sänger von Anti Flag, Minuten vor dem großen Auftritt vor euch steht und andeutet, dass es mit einem Konzert vermutlich nichts wird, da er sich ‘nen ordentlichen Splitter eingezogen hat? Natürlich an einem der Finger, die für sein Gitarrenspiel unerlässlich sind. Ines meinte kurzentschlossen: „Hand her. Messer her.“ und fragte „Gibt es noch eine hochprozentige Desinfektion?“ Als alles so positioniert war, wie wir es aus dem Krankenhaus am Rande der Stadt kannten, dauerte die Operation nur Sekunden. Der Splitter wurde mit großen Augen bewundert und alle fragten sich, wie der in den Finger passte. Ines desinfizierte und versorgte die Wunde. Wenig später stürmten die Amis durch ihr Set, als wäre nix gewesen.

Normalerweise findet ihr Ines aber nicht am improvisierten OP-Tisch, sondern im Bad, wo sie sich fürsorglich um euren Durst und alle andere Wehwehchen kümmert. Wenn es ihre Konstitution und die berufliche Belastung zulässt, ist sie in der Woche vor dem Festival im Organisationsbüro und rackert auch da, als gäbe es kein Morgen. Ihr merkt, mit Ines passiert immer was Außergewöhnliches. Schauen wir mal, welche Geschichten es noch zu heben gibt.

BTF: Ehe wir den Fokus auf dein Leben abseits des Festivals lenken wollen, musst du uns unbedingt noch deine Lieblingsgeschichte vom BTF erzählen. Voranschicken möchte ich, dass du beruflich grob gesagt im Bereich Psychiatrie und Sucht tätig bist.
Ines S: 2 ehemalige Patienten, die sich damals selbst noch nicht kannten, standen links und rechts immer (der eine 3 und der andere 2 Jahre) in meiner Nähe vom Bierwagen und lauschten der Musik, der eine hatte Cola und der andere Wasser in der Hand (geholt immer bei mir) Samstag hab ich den einen dann direkt angesprochen, warum er sich kaum vom Wagen bewegt, es gibt doch bestimmt ein besseren Blickwinkel auf die Bühne. Er meinte daraufhin, dass er schon richtig steht, er sei seit 3 Jahren trocken und bei mir fühle er sich sicher, komme er doch ausschließlich wegen der Musik – seit Jahren! Ich hab ihm dann den Tipp gegeben, mal nach links zu schauen und speziell auf dessen Getränk... kurz und gut: sie kommen jetzt seit 3 Jahren immer zusammen nach Glaubitz, kommen zum Grüßen und Verabschieden zu mir und gehen wieder in Richtung Bühne/Zelt. Da denke ich immer: alles richtig gemacht!

BTF: Da muss sich von unserer Seite natürlich eine Frage anschließen. Wie hältst du es mit der Religion? Quatsch, wie hältst du es mit Alkohol/Drogen? Ich meine das eher im übertragenen Sinn. Also nicht du als Konsument, sondern wie kommst du mit der Situation Alkoholdealer vs. Berufserfahrung klar?
Ines S: Sehr gut, jeder in meinem Umfeld weiß, wo und mit wem ich arbeite. Selbst in den zwei Selbsthilfegruppen für psychisch- und suchterkrankte Menschen (die ich begleite), gibt es schließlich auch ein privates Leben, wo ich nicht unsichtbar bin. Und alle wissen, dass ich, so wie ich um ihre Erkrankung weiß, ihnen definitiv keinen Alkohol mehr ausschenke. Und sie kommen gut drauf klar. Ein Stoffi meinte mal: „Sonst wärst du ja nicht du. Vom Wasser zu reden und dann schön Wein saufen – nee!“ Und ja es gab auch schon Einige, die mich direkt angesprochen und gefragt haben, ob sie mich nach dem Festival nochmal kontaktieren können, weil sie gesundheitstechnisch was tun wollen. Einige sind auch wirklich gekommen und 3 - 4 sehe ich regelmäßig wieder – trocken/clean und sie sind megastolz – also ich auch. Und dann gab es noch einen, der mir selbst gar nicht so im Blickfeld war, der immer meinte, mich zu kennen. Bis er eines Abends, auf Station und am Tisch sitzend, mich von unten nach oben anschaute, erst da erkannte und sagte: „Oh, jetzt hatte ich das Bedürfnis bei dir ein Bier zu bestellen!“ Er ist einer der 2, die immer in der Nähe am Bierwagen standen. Andere, die wieder nass sind, grüßen mich zwar und kommen auch auf einen Schwatz rum. Aber ihre Getränke holen sie sich woanders. Das ist ok so. Im Grunde genommen muss aber jeder selber wissen, wie er mit seinem Konsum umgeht. Ich missioniere definitiv nicht auf dem Festival.

BTF: Du hast seit langen Jahren mit deiner Lipödemerkrankung zu tun. Eine Krankheit, die vor allem Frauen trifft und vielleicht deshalb im Leistungsumfang der Krankenkassen lange keine Rolle spielte. Die Schmerzen und der Leidensdruck der Betroffenen ist immens. Bei dir führte es dazu, dass du dich bei der #LipödemduArschloch Kampagne aktiv einbrachtest. Magst du was dazu berichten? Vielleicht hilft es betroffenen Menschen, wenn du einen kurzen Einblick in deine Lipödemgeschichte gibst, in der du mit einer Operation nun ein weiteres Kapitel schreiben kannst.
Ines S: Ich versuche mich ganz kurz zu fassen, obwohl es ein sehr schwieriges und umfangreiches Thema ist, welches doch so einfach zu verstehen ist. Es handelt sich um eine krankhafte Fettverteilungsstörung, die absolut Sport- und Diätenresistent ist und ca. 3,7 Millionen Frauen im D-Land betrifft. Die Dunkelziffer ist weitaus höher. Bis vor kurzem war diese Erkrankung noch gar nicht anerkannt und der Leistungskatalog der Krankenkassen war leer. Ein Schlingel, der jetzt Böses dabei denkt, wenn man davon ausgeht, wie viel Männer es betrifft und wie hoch die Frauenquote im Gesundheitsbundesausschuss ist. Die Krankheit wird begleitet von Ausgrenzung, Mobbing, Diskriminierung, Schamgefühl, Schmerzen #Schmerzensindunsichtbar). Kurzum, es geht mit massiven Einschränkungen der Lebensqualität einher. Irgendwann habe ich angefangen, unter „Dinge, die sonst keiner sieht“ Aufklärungsarbeit zu betreiben. Mündlich, als auch via WhatsApp/Instagram. Und dann bekam ich eine Einladung zum Foto-Projekt von Melanie Grabowski: „Lipödem ist ein Arschloch“. Dort standen wir in Berlin. Einen Tag vor dem Berlin-Marathon, in Unterwäsche auf dem Gendarmenmarkt und haben uns gezeigt. Boar, da kullern mir jetzt gleich schon wieder die Tränen. Obwohl ich es wusste und ich eine phantastische Familie und mindestens genauso tolle Freunde habe, wurde mir dort erst so richtig bewusst: „ich bin nicht allein und ja, ich bin trotz Lipödem schön!“ Wer will, kann sich ja gern den kleinen Film dazu anschauen. Und seitdem gehe ich hocherhobenen Hauptes weiter durch mein Leben und denke (ich sag’s nicht) bei manchen Menschen: nicht nur das Lipödem ist ein Arschloch! Nach dieser Aktion hat sich ganz viel getan, aber noch längst nicht genug (leider!). 1 OP zu einem schmerzfreien Leben habe ich jetzt seit 19.02. hinter mir und es geht weiter. Auch mit Aufklärung und auch mit der Kampfansage gegen Mobbing und Ausgrenzung (egal bei welchem Thema). Wer das Video dazu sehen mag, findet es auf unserer Homepage verlinkt. (»VIDEOLINK)

BTF: Du engagierst dich außerdem in Sachen Obdachlosigkeit, sammelst Schlafsäcke und Klamotten und verteilst sie. Du unterstützt die Initiative Willkommen in Döbeln, deren Aktivitäten vom Treibhaus Döbeln aus koordiniert werden. Da bist du am ehesten im Nähcafé zu finden. Auch in der Mitmachküche ergeben sich Momente, den Ansatz „Integration muss in beide Richtungen funktionieren“ mit Leben zu füllen. Welche Augenblicke füllen deine Akkus wieder?
Ines S: Menschen sind die, die ich liebe. Aber gleichzeitig verabscheue ich sie auch oft für ihren miesen Umgang unter- und miteinander. Dafür, wie sie so boshaft sein können und nicht über ihren Tellerrand schauen; denken, sie hätten alleinigen Anspruch auf Grund und Boden, auf alles Materielle und Finanzielle oder lassen keine Diskussionen zu, können weder respektieren noch akzeptieren. Sie hinterfragen auch nicht z. B. warum jemand auf der Flucht ist oder auf die Straße geht (das ist ja auch irgendwie eine Flucht) und viele wollen es auch gar nicht wissen, denn dann müssten sie sich ja mit ihrem eigenen ICH auseinandersetzen und/oder selbst aktiv werden. Aber dazu sind ganz viele nicht bereit. Anfänglich dachte ich, dass ich meine Aktivitäten nicht öffentlich mache bzw. habe ich es auch viele Jahre nicht getan, mittlerweile weiß ich, dass das falsch ist – ich stand viele Jahre, bis auf wenige, allein da. Heute sind wir viele. Wenn ich nur an die Spendenaktion für unsere vergessenen Menschen auf der Straße denke. „Früher“ hab ich immer allein gesammelt und diese an Kältebusse, Nachtcafés, Bahnhofsmissionen gefahren – und heute? Es waren voriges und dieses Jahr so viel Unterstützermenschen dabei. Ich sammle immer noch ein :joy: da ich durch den Lockdown und meine OP etwas ausgebremst war, aber nur etwas. Selbst die Polizei – ja, DIE Polizei hat mir geholfen, auszuliefern, durfte ich ja nicht weiter weg als 15 km. Ja, es ist wirklich so, Mensch braucht keine Pyrotechnik, um ein Feuerwerk zu entfachen. Sag höflich bitte und benenne den Grund. In der Kleiderkammer der Erstaufnahmeeinrichtung haben mir so viele dankbare Menschen entgegen gelacht und ja, auch geweint. Oder in der Mitmachküche gemeinsamen zu kochen und zu essen. Zu sehen, wie ihre Kinder sich entwickeln und wieder lachen können. Das sind alles die kleinen Krafttankstellen; oder im Nähcafe mit Menschen aus aller Herren Länder, aber auch Jung und Alt zusammen zu arbeiten, neue Projekte mit Susanne und Moni zu entwickeln. Ja, es gibt so viele kleine Dinge, an denen ich mich erfreuen und mir Kraft holen kann. Ein guter Freund hat mal zu mir gesagt, dass es wichtig ist, zur Ruhe zu kommen, aber nicht zum Stillstand und ganz ehrlich, ich bin zumindest bemüht, zur Ruhe zu kommen. Aber das gelingt mir nicht immer so, Stress ist wahrscheinlich mein Motor. Mein Herzmensch Egon, den ich im übrigens auf dem Festival kennengelernt habe oder war es hinter der Bar in Roßwein? Oder?

[BTF: Aufgefallen ist er dir vielleicht schon in Glaubitz, aber ernst wurde es erst nach dem Abend in Rosswein. Egon haben wir es nicht leicht gemacht, an deine Nummer zu kommen ;-)]

Naja, jedenfalls sind er, meine Familie und mein Freundeskreis meine Couch, da kann ich mich ausruhen und erholen. Aber sie waschen mir auch mal den Kopf, wenn ich nicht „stehen“ bleibe bzw. nicht das Tempo drossele. Ich liebe sie für ihr „Kopf waschen“Und wer sich bis hierhin durchgewühlt hat, dem soll die allerwichtigste aller Informationen nicht vorenthalten bleiben. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Ausgestattet mit mindestens 50% Ines-Genen ist Sohnemann Willy inzwischen auch schon Jahre Crewmitglied. Mal sehen, wann wir ihn zu einem Statement bewegen können ;-)